Vita

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Janina Thomas wurde 1968 in Lübeck geboren. Mit 18 ging sie als Au Pair nach England, machte eine Ausbildung zur Fremdsprachenkorrespondentin und holte dann das Abitur nach. Sie lebte in Hamburg und Berlin, wo sie unter anderem als Puppenspielerin, Regieassistentin, Kellnerin, Sozialarbeiterin und Büroangestellte arbeitete. Weil sie bereits seit der Grundschule Geschichten schrieb, studierte sie Belletristik an der "Schule des Schreibens", um das Handwerk zu erlernen. Außerdem ist sie im Autorenforum "Wortkrieger" aktiv. Die meisten Ideen bekommt sie beim Reisen, ihrer zweiten Leidenschaft. Während ihres Auslandsaufenthalts in Indien gewann sie tiefe Einblicke in das einheimische Leben und bereiste Orte, die kaum von westlichen Touristen frequentiert wurden. Ihre Eindrücke verarbeitete sie in Kurzgeschichten und gab mit "Endstation Indien" ihr Romandebüt.

Veröffentlichungen

Besuch bei Baba, Kurzgeschichte in der Anthologie Zu neuen Ufern, erschienen 2021 im Schreiblust-Verlag.


Pondicherry, Kurzgeschichte in der Anthologie Nacht, erschienen 2022 im Schreiblust-Verlag.

Leseproben

Als ich die Urne mit Asche aus dem Kamin fülle, habe ich kein schlechtes Gewissen. Ich stelle sie auf das Fensterbrett und warte darauf, irgendetwas zu fühlen. Aber da ist nichts, außer dass ich mich frage, wie das Riesending in den Koffer passen soll. Bekomme ich da keine Probleme mit der indischen Einwanderungsbehörde? Den Nachweis einer indischen Grabstätte habe ich jedenfalls nicht, offiziell muss Mutter auf dem Friedhof bleiben. Da liegt sie auch, aber weil es ihr letzter Wille war, bei Lilli in Indien begraben zu werden, muss eine Alternative her. Lilli ist meine zwei Jahre jüngere Schwester. Seit sie von Mutters Wunsch weiß, nervt sie mich noch mehr als sonst. Und das, obwohl ich sie nicht mehr gesehen habe, seit sie vor zehn Jahren in den Himalaya ausgewandert ist. Genau zu dem Zeitpunkt, an dem von einer westlichen Frau erwartet wird, sich für Karriere oder Kinder zu entscheiden.
"Spätestens mit dreißig müsst ihr wissen, was ihr mit eurem Leben machen wollt", pflegte Mutter zu sagen und war schockiert, als Lilli vorher noch schnell einen indischen Bettelmönch heiratete. Aber immerhin bekam Mutter sechs Jahre später eine Enkelin. Sie ist einmal im Jahr zu ihr geflogen und wollte eigentlich zu Lillis vierzigstem Geburtstsag wieder hin. Der war vor zwei Wochen. Aber da war Mutter schon unter der Erde.


(Prolog aus Endstation Indien)


Eigentlich wollte Tom ihr Indien zeigen, aber jetzt stand Anne ohne ihn am Bahnhof von Benares. Das Ticket in der Hand, starrte sie auf die leere Anzeigetafel, wich Menschen aus, die an ihr vorbeidrängten, und Koffern, die ihr in die Hacken rollten. Der Zug nach Pondicherry sollte in fünf Minuten fahren. Tom glaubte, dass in Tamil Nadu, wo Pondicherry liegt, die glücklichsten Menschen der Welt lebten. Sie hätten eine Formel, die man einfach nur herausfinden müsste. Von Ungeduld geplagt, fand er sein Glück schon vor der Reise. Er zog mit einem blonden Hippiemädchen weiter, weil sein Herz es ihm sagte. Annes eigenes Herz war so leer wie die Anzeigetafel.

Vier Minuten. Am Schalter drängelten die Leute, als ginge es um einen Platz im letzten Rettungsboot. Junge Männer mit Föhnfrisuren, alte mit langen Bärten, Geschäftsleute und Großfamilien mit Übergepäck zogen an Anne vorbei. Niemand wusste, wann der Zug fuhr.
Drei Minuten. Anne schloss die Augen und wünschte sich in einen dieser Filme, in denen der Held plötzlich einfror, während die Welt um ihn im Zeitraffer ablief. Stimmengewirr, Gesang und Tambourin-Klänge wirbelten um sie herum, jemand klatschte zweimal laut in die Hände. Sie riss die Augen auf ...


(Aus Pondicherry, Kurzgeschichte in der Anthologie Nacht.)


Was mache ich hier eigentlich?, fragte ich mich, als ich in der stickigen Halle auf Gott wartete. Seit über zwei Stunden saß ich bereits auf dem kleinen Kissen, eingequetscht zwischen einer fülligen Inderin, deren Ellenbogen in meinem Schoß ruhte, und einer blondierten Europäerin in den Fünfzigern. Ich versuchte, nicht über die Hitze nachzudenken, aber meine trockene Kehle erinnerte mich immer öfter daran. 

"Bist du zum ersten Mal bei Sai Baba?", fragte die Europäerin. 

"Ja." 

"Du siehst nicht sehr begeistert aus." 

"Na ja, ich glaube eigentlich nicht an Gott." 

"Habe ich auch nicht. Bis ich Baba begegnet bin."
Ich nickte, lächelte höflich und sah zu Alex hinüber, die irgendwo rechts vorne platziert worden war. Sie blickte mit ausdruckslosem Gesicht zum Podium, auf dem blumenverzierte Sai-Baba-Porträts standen. Mit seinem Afro und dem orangefarbenen Gewand machte der bekannteste Guru Indiens jedem Hippie Konkurrenz.
"Ich bin übrigens die Bhavani aus der Schweiz", sagte die Europäerin, legte die Hand auf den Brustkorb und verneigte sich leicht.
"Dana."
"Baba wird dich gerufen haben, auch wenn du davon gar nichts weißt. Mir ist er im Traum erschienen."
Das hatte ich schon öfter gehört. Aber Bhagavan Sri Sathya Sai Baba war umstritten. Die einen glaubten, er sei ein Avatar, der übernatürliche Kräfte hätte. In seinen zwei täglichen Audienzen materialisierte er heilige Asche, Schmuck und Uhren und befreite Menschen von ihren Krankheiten. Die anderen hielten ihn für einen guten Zauberer, der sich an den Spendengeldern seiner Anhänger bereicherte. Aber waren all diese Träume nur erfunden? Oder gab es einen Zugang zu etwas, das mir verborgen blieb? ...


(Aus Besuch bei Baba in der Anthologie Zu neuen Ufern.)

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