Rückblick
Was bisher geschah
Eigentlich wollte ich Flugbegleiterin werden. Da wurde aber nichts draus, weil die einzige Airline, die mich zu einem Vorstellungsgespräch einlud, wenig später pleiteging. Ich war Anfang zwanzig, hatte den Abschluss der Inlingua in der Tasche und konnte einen meiner Träume bereits begraben. Weil ich nur zwei davon hatte, kam ich auf keinen guten Schnitt. Kurz war ich geneigt Schauspielerin oder Sängerin zu werden. Aber wirklich glücklich machten mich nur zwei Dinge: Reisen und Schreiben.
Up up and away
Geboren 1968 in Lübeck, entdeckte ich den Traum vom Fliegen im Alter von vier Jahren, auf einer Urlaubsreise nach Bulgarien. Weil ich als Einzelkind nicht so teuer war, flogen wir jedes Jahr einmal in die Sonne. Anfang der Siebziger war das noch was ganz Besonderes.
Was dann passierte, mag am Zeitgeist gelegen haben. An Filmen, in denen ich lebte. An Musik aus Transistorradios und Jukeboxen und an den Büchern, die ich später las. Vielleicht lag es auch an meinem revolutionären Geburtsjahr oder einer besonderen Konstellation der Planeten. Was auch immer – seit ich über den Wolken geflogen war, ließen mich die Luftschlösser nicht mehr los.
Up up and away sollte es beruflich gehen, um hinterher alles niederschreiben zu können. Ich wollte nicht gelesen werden, ich wollte mich erinnern. Ganz oben auf meiner Liste standen die USA. Und dann Indien. Auf einem Floß sah ich mich während meiner kurzen Zwischenstopps den Mississippi hinunterpaddeln und auf einem Elefanten durch den indischen Dschungel reiten. Und nun würde ich als Fremdsprachenkorrespondentin in irgendeinem Büro verstauben.
Irgendwas mit Schreiben zu studieren, kam mir nicht in den Sinn. Das tat ich schließlich seit der ersten Klasse. Sobald ich genug Worte zusammen hatte, führte ich Buch über die Garderobe meiner Lehrerin. Sie hüllte sich in farbenfrohe Samtkleider, trug Ketten bis zum Bauchnabel und grünen Lidschatten. Manchmal auch blauen. Ich musste es aufschreiben, damit ich mich im Jahr 2000 immer noch daran erinnern würde. Aber das war nur ein grober Richtwert. Wann immer ich wollte, konnte ich den Anblick herbeizaubern.
Ende der Grundschulzeit schrieb ich Geschichten, die von den Drei Fragezeichen inspiriert waren. Eine Mitschülerin illustrierte sie. Damit es professioneller wirkte, brachte ich mir auf der Schreibmaschine meines Vaters das Tippen mit einem Finger bei. Ich wurde so schnell, dass ich später jeden Schreibmaschinentest bestand. Leider sind diese frühkriminalistischen Werke bei meinen vielen Umzügen verlorengegangen.
Über die Antriebslosigkeit, erwachsen zu werden
In der Pubertät beschränkte sich meine Schreibleidenschaft auf Tagebucheinträge, die sich in meinen Zwanzigern zu Reisetagebüchern ausdehnten. Wenn Pan American Airlines mir meinen Traum vom Fliegen nicht erfüllen konnte, musste ich es eben selber tun. Ich verwarf meine Zukunft als Fremdsprachenkorrespondentin, kellnerte mich durch Cafés, Bars und Restaurants, packte meinen Rucksack, flog in die USA und schrieb. Über einsame Motels. Endlose Highways. Und alles andere, das mich an irgendwelche Roadmovies erinnerte.
Zurück im deutschen Winter tippte ich alles auf Stapel von Papier. Ein Ende war nicht in Sicht. Eine Pause auch nicht. Es musste raus solange ich noch jeden Blick und jeden Dialog der Tageszeit und Wetterlage zuordnen konnte. Und weil eine Seite die nächste jagte, kam ich nicht mehr dazu, andere Dinge zu tun. Ich war im wahrsten Sinne des Wortes auf dem Trip hängengeblieben.
Meine Antriebslosigkeit, erwachsen zu werden, basierte auf der Suche nach dem großen Glück. Vorher war an solche Dinge gar nicht zu denken. Aber das Glück war immer woanders. Ich schob meine Rastlosigkeit auf Deutschland und wollte spätestens mit dreißig nach Kalifornien auswandern, weil ich da acht Wochen lang glücklich gewesen war. Bis es soweit wäre, hätte ich aus meinen Aufzeichnungen einen Roman gemacht, der sich prima verkaufen würde.
Puppentanz in der Hauptstadt
Ich kam bis Berlin. Da sagte mir ein Schriftsteller, ich solle mir lieber ein anderes Hobby suchen, das mit der Schreiberei würde nichts werden, ich könne doch singen. Ich schrieb keine Zeile mehr. Eine Zeit lang machte ich Straßenmusik, nahm Schauspielunterricht und arbeitete viele Jahre als Puppenspielerin.
Als ich doch mal wieder was schrieb, änderte der Schriftsteller seine Meinung. Gemeinsam gründeten wir eine Autorengruppe und traten unter dem Namen Operation Erlkönig im Café Burger in Berlin auf.
Auch in meinen Kurzgeschichten wusste ich nie, wo ich eigentlich hinwollte. Es reichte nicht, sich zu erinnern oder die Fantasie zu bemühen, ich musste einen Bogen schlagen können. Wenigstens auf dem Papier sollte alles einen Sinn ergeben. Wenigstens auf dem Papier wollte ich die Ereignisse kontrollieren. Ich schrieb mich an der Schule des Schreibens ein und schloss zwei Jahre später erfolgreich das Belletristik-Studium ab. Das erworbene Handwerk verfeinerte ich im Autorenforum Wortkrieger, in dem ich Kurzgeschichten veröffentlichte und noch heute Moderatorin bin.
Gestern war ich noch erleuchtet
Weil auch in Berlin das Glück nicht ewig währte, reiste ich nach Indien. Den Elefantenritt hatte ich inzwischen verworfen. Vielmehr interessierte mich, was es auf sich hatte mit der Erleuchtung, welche unsichtbaren Mächte da am Werk waren und ob das erklärte, warum einige Indienreisende so verdreht auf mich wirkten.
Während ich in Zügen und Bussen quer durchs Land reiste, war ich skeptisch, was die Erleuchtung anging. Ich konnte mir keine göttliche Eingebung vorstellen, die mich für den Rest meines Lebens besoffen vor Glück über den Dingen schweben ließ und alle Probleme löste. Aber ich berauschte mich am Leuchten der Farben, an Gesängen, die sich über dem Ganges erhoben, während der Wind die Tempelglöckchen erklingen ließ, an Gerüchen, die mich aus allen Himmelsrichtungen anflogen, an Überraschungen, die das Unterwegssein bereithielt und an Menschen, die mir auf nächtlichen Busfahrten ihre Geschichten erzählten. Kurz – an all den Momenten, die mich zum Schreiben inspirierten.
Letztendlich kam ich zu dem Schluss, dass die Erleuchtung nichts damit zutun hatte, mir mit geschlossenen Augen irgendwelche Lichtwesen vorzustellen. Sondern damit, mir klarzumachen, wohin ich eigentlich wollte, dass jetzt der richtige Zeitpunkt für einen Roman gekommen war. Ich wollte tiefer eintauchen, die Geschichte Schicht um Schicht entwickeln wie einen Sari.
Aber da gab es noch so viele Fragen. So vieles, das ich an Land und Leuten nicht verstand. Also flog ich erneut hin, in der Hoffnung auf Antworten, aber die warfen neue Fragen auf.
Von Kashmir bis Kerala
Berlin gab mir nicht mehr viel. Außer dass ich in den Sommermonaten als Kellnerin gut verdiente, hielt mich da nichts mehr. Meine Liebesbeziehungen hatten keine Zukunft, Freundschaften kamen und gingen und als auch der/die Letzte eine Familie gründete oder sich auf die Karriere stürzte, machte ich mich abermals auf den Weg nach Indien.
Über die Jahre reiste ich von Kashmir bis Kerala. Lernte Menschen, Religionen und Bräuche kennen, genoss die Zurückhaltung der Himalayabewohner, erschrak vor der Direktheit der Rajasthanis und verliebte mich in die Gelassenheit Zentralindiens, das kaum von westlichen Touristen bereist wurde. Ich denke, man lernt ein Land am besten kennen, wenn man lange am selben Ort bleibt. Nur dann besteht die Chance, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen.
Mit Erleuchtung hatten die Menschen, die ich näher kennenlernte, allerdings nichts am Hut. Da hatten sie gar keine Zeit für. Sie mussten ihre Familien ernähren. Die, die ich kannte, glaubten an Karma, taten aber kaum etwas, um dafür Pluspunkte zu sammeln. Sie gaben nie auf, egal wie aussichtslos die Lage war. Sie waren spontan und in der Gegenwart, aber sie konnten die Vergangenheit nicht abschütteln und lebten in der unerschöpflichen Hoffnung auf eine bessere Zukunft. In diesem Leben.
Heimat haben ist gut
Am Schluss landete ich in Goa. Noch heute fliege ich jeden Winter in meine zweite Heimat. Im Laufe der Zeit haben sich viele Kontakte und Freundschaften vertieft. Neben Kunstfestivals werden Lesungen für deutsche Touristen organisiert, auf denen ich meine Texte präsentieren kann.
All diese Geschichten und Erfahrungen haben mich zu meinem ersten Roman Endstation Indien inspiriert. Inzwischen lebe ich auf dem Land, in der Nähe meiner Heimatstadt, schreibe Buchkritiken, Kindertheaterstücke und arbeite an meinem zweiten Roman, der ebenfalls in Indien angesiedelt ist.